Mittwoch, 22. April 2009

A Living Act of Holiness

Hier also nun mit ein paar Tagen Verspätung meine gesammelten Eindrücke zum neuen Depeche-Mode-Album Sounds of the Universe.

In Chains: Weckte in mir spontan Erinnerungen an “Higher Love”: langes Intro, ähnliches Tempo, etc. Bietet sich ebenso gut als Konzert-Opener an wie seinerzeit das Finale vom Songs of Faith and Devotion. Die Kombination aus analogen Synthesizer-Klängen, die das gesamte Album kennzeichnen, und der schrammeligen Blues-Gitarre klingt zwar ungewöhnlich, gefällt mir aber sehr gut.

Hole To Feed: Das rhythmische Intro nervt mich etwas, irgendwie bewirkt es einen zu harten Umstieg vom Song zuvor. Beim ersten Hören dachte ich, Fletch würde die ersten Worte singen, aber dann wurde mir schnell klar, dass Dave mal wieder seine Elvis-Stimme ausgepackt hatte. Der Text lässt mich etwas unbefriedigt zurück, wobei die zentrale Aussage (“When you get what you need / There’s no way of knowing / What you’ll have / Is another hole to feed”) natürlich ziemlich smart daherkommt.

Wrong: Das aufregende Video zur ersten Single wurde hier ja bereits diskutiert, aber auch ohne visuelle Unterstützung kann sich der Song sehen und hören lassen. Der aggressive Gesang passt gut zum Text, der von einer gehörigen Portion (Selbst-)Ironie befeuert wird. Fletch hatte absolut Recht, als er meinte, “Wrong” sei ein dreiminütiges Gegengift zum in den Charts dominierenden Bubblegum-Pop. Dennoch ist “Wrong” gleichzeitig der Song auf dem Album, der am ehesten zur chartkompatiblen Single taugt – und dies mit dem Einstieg auf Platz zwei ja auch schon bewiesen hat. Dass Depeche Mode mal wieder so eine Mischung aus eingängigem Pop und gleichzeitiger Ablehnung jeglicher Mainstream-Mode gelungen ist, kann man gar nicht hoch genug bewerten. An diesem Lied stimmt einfach alles!

Fragile Tension: Flotter, klar strukturierter Popsong. Vielleicht das Lied des Albums, das gleich beim ersten Hören am ehesten nach Depeche Mode klingt. Das liegt womöglich daran, dass hier sämtliche Elemente, die einen klassischen DM-Song ausmachen, enthalten sind: unverwechselbare Synthie-Klänge, eine gelegentlich einsetzende E-Gitarre, die Kombination aus Daves erster und Martins zweiter Stimme, sowie einem Text, der das Mysterium zwischenmenschliche Beziehungen in gewohnt fatalistischer Manier betrachtet. Die Zeilen “There’s something mystical in our genes / So simplistic it kicks and screams” gefallen mir besonders gut, das Outro erinnert aber zu stark an “Lillian” bzw. den Sound des letzten Albums Playing the Angel.

Little Soul: Wohl am ehesten das, was manche Kritiker andernorts als Füllmaterial charakterisiert haben. Auch mein Finger nähert sich zu Beginn des fünften Tracks meistens der Skip-Taste. Aber vielleicht wurde der Song einfach unglücklich auf dem Album platziert, weiter hinten hätte er sich eventuell harmonischer eingefügt. Werde aber den Eindruck nicht los, dass “Little Soul” als B-Seite/Bonustrack irgendwie besser aufgehoben gewesen wäre. Ob Buddy Casino die Orgelmelodie einspielte, ist übrigens nicht bekannt.

In Sympathy: Wir nähern uns dem stimmungsvollen Höhepunkten des Albums, bestehend aus “In Sympathy”, “Peace” und “Come Back”. “In Sympathy” hat den stärksten Refrain von allen Liedern auf Sounds of the Universe, sowohl textlich als auch musikalisch gesehen. Es ist ja letztlich meistens das selbe Muster (Synthie-Beat, E-Gitarre, Daves Stimme im Vordergrund, Martin im Hintergrund), aber es wird zum Glück nie langweilig, da die Band allzu platte Wiederholungen vermeidet. Für Depeche-Mode-Verhältnisse geradezu ein Gute-Laune-Lied.

Peace: Für mich – zumindest momentan – das unterm Strich beste Lied des Albums. Während in den beiden Strophen Aufrichtigkeit und Läuterung vorgetäuscht wird, lächelt Dave dem Hörer während des Refrains und der Bridge postwendend fies ins Gesicht und verkündet: “Just look at me / I’m a living act of holiness / Giving all the positivity / That I possess / I'm going to light up the world.” Besser wurde Depeche Modes Standpunkt gegenüber Glauben und Spiritualität seit “Nothing” wohl nicht mehr auf den Punkt gebracht. Ich freue mich schon auf die Live-Umsetzung des Songs, besonders auf das zu erwartende Wechselspiel zwischen Band und Publikum.

Come Back: Nach “Hole To Feed” die zweite Gahan-Eigner-Philcott-Komposition des Albums. Die ersten Zeilen mögen vielleicht noch etwas abgedroschen erscheinen, aber im Verlauf des Songs fügen sich Text, Gesang und Musik zu einer wunderbaren Einheit zusammen, die – auch wenn es arg platt und schmalzig klingt – jede Menge Gefühl vermittelt. Leider wirkt die Album-Version total überladen; die bereits vor Wochen bekannt gewordene “Studio-Sessions”-Aufnahme gefällt mir um Längen besser. Sollte “Come Back” in der letztgenannten Version live gespielt werden, würde es zu den absoluten Highlights der Setlist gehören!

Spacewalker: Das übliche Instrumental, das Martin offenbar auf jedem Album unbedingt unterbringen muss. Ganz nett und zum Glück nach noch nicht einmal zwei Minuten schon wieder vorbei.

Perfect: Von der ersten Sekunde an eines meiner neuen Lieblingslieder. Sarkasmus, Fatalismus und romantische Träumerei vereinen sich hier zu einem – im wahrsten Sinne des Wortes – perfekten Popsong. Das Tempo ist schnell genug, um nicht alles bloß dahinplätschern zu lassen, und langsam genug, um nicht in Hektik zu verfallen. Grandiose Lyrics, die an einer Stelle (“I didn’t shoot / I didn’t pull the trigger / It wasn’t me / I’m just a plain and simple singer”) mit ironischen Understatement im übertragenden Sinne die “Vierte Wand” durchbrechen.

Miles Away / The Truth Is: Der dritte von Dave komponierte Song, das dritte Mal ein (zu) harter Schnitt von einem Lied zum nächsten. Das ist allerdings das einzige echte Manko an dieser fast blues-rockigen Nummer, in der mir Daves Gesang besonders gut gefällt. Ich bin im Interpretieren von Liedtexten zwar grauenhaft schlecht, aber mir drängt sich der Verdacht auf, dass es hier wieder mal um Daves Drogenerfahrungen geht. Okay, Martin hatte in den letzten drei Jahrzehnten im Wesentlichen zwar auch bloß drei Themen (Sex/Liebe, Religion/Glauben, Politik/soziale Verantwortung), von daher ist die ständige Wiederkehr der Thematik vollkommen legitim. Allerdings wirkt es zumindest auf mich nicht mehr zu hundert Prozent authentisch. Aber vielleicht täusche ich mich in meiner Interpretation auch total und der Fehler liegt bei mir, da ich nach wie vor vieles irrtümlich auf Daves Junkie-Vergangenheit beziehe.

Jezebel: Das einzige von Martin allein gesungene Stück auf Sounds of the Universe steht u.a. in der Tradition von “Blue Dress” und “Lillian”, auch wenn letztgenannter Song eine von Dave gesungene Up-Beat-Nummer ist und sich daher im Tempo stark von “Jezebel” unterscheidet. Martins Gesang ist wie immer perfekt und passt wunderbar zu dieser bittersüßen Ballade, die ich auch definitiv im Live-Set der Open-Air-Tour erwarte.

Corrupt: Ganz zum Schluss nimmt das Album nochmal etwas an Fahrt auf und was wäre ein anständiger Depeche-Mode-Longplayer auch ohne eine gescheite Nummer zu den Themen Sex und Macht?! Bei diesem Song sind Depeche Mode (mal) wieder ganz bei sich, bei diesem Themenkomplex macht ihnen wohl keiner was vor. Man kann förmlich hören, wie Dave beim Singen in eine Rolle schlüpft und durch diese Persona zu uns spricht – ganz große Alter-Ego-Schule! “Corrupt” als finales Stück auf dem Album zu platzieren, war eine sehr gute Entscheidung, es rundet das nach Ultra zweitlängste Depeche-Mode-Album wunderbar ab.

Sounds of the Universe ist insgesamt ein sehr dichtes und komplexes Werk, dass mir zunächst sehr sperrig und kantig vorkam. Allerdings wird schon beim ersten Hören deutlich, dass einem hier nie und nimmer langweilig wird. Mit der Zeit entpuppen sich dann – wie bei jedem guten Album – nach und nach immer mehr Songs als wahre Perlen, die sich wie verschiedene Puzzleteile Stück für Stück zu einem kohärenten Gesamtbild zusammenfügen. (Okay, das klingt jetzt ziemlich abgedroschen. Aus meiner Sicht ist es aber trotzdem richtig.)

Der Titel Sounds of the Universe scheint gleich auf mehreren Ebenen sehr passend für das Album und die Band zu sein. Da wäre zum einen die selbstironische Distanz zum eigenen Werk à la Music for the Masses im Titel selbst, zum anderen spiegelt sich dieser science-fiction-artige Touch im tatsächlichen Sound der 13 Tracks wider. Manchmal klingt das alles vielleicht zu sehr nach Kraftwerk, was an Martins neu entflammter Obsession für analoge Synthesizer liegen könnte. Unterm Strich kommt aber ein unverwechselbarer Klang zustande, der einen angenehmen Wiedererkennungseffekt auslöst, ohne dabei alt oder abgedroschen zu wirken.

Zu behaupten, Depeche Mode hätten sich mit Sounds of the Universe “neu erfunden”, wäre allerdings total daneben. Vielmehr wurde auf diesem Album wieder genau das verwirklicht, was seit bald 30 Jahren immer eine Maxime der Band war, nämlich sich mit einem neuen Album vom jeweiligen Vorgänger hörbar zu unterscheiden, ohne dabei die eigenen Stärken aus den Augen zu verlieren. Dass Dave auch als Songwriter zu dieser Entwicklung aktiv und maßgeblich beiträgt, darf inzwischen schon als selbstverständlich bezeichnet werden. Wer hätte das vor zehn Jahren für möglich gehalten?

Sounds of the Universe macht mich wieder einmal zu einem sehr, sehr glücklichen Depeche-Mode-Fan. Ultra wird vermutlich für immer mein absolutes Lieblingsalbum bleiben, aber die neuen Lieder steigern meine Vorfreude auf die anstehende Tour of the Universe ins Unermessliche!

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